Das Kamikaze-Kid 1 und der Südseekönig

Wie es der Zufall so will, haben das Kamikaze-Kid1 und ich angefangen Pippi Langstrumpf zu lesen – kurz bevor diese ganze „wer zensiert hier Kinderbücher-Debatte“ anfing. Und was soll ich sagen: Ich war dankbar für den Südsee-König und fand diese Lösung plötzlich sehr elegant.

Natürlich hätte ich auch eine Fußnote zum problematischen Begriff „Neger“ lesen und mit dem Kamikaze-Kid1 debattieren können. Aber ehrlich gesagt: Bei einem Kind, das den halben Tag lang durch die Gegend läuft und Kaka-Dies, Kaka-Das sagt, um sich dann darüber zu freuen, dass sich a) jemand aufregt oder b) Erwachsene, bei dem krampfhaften Versuch das Kaka-Geschrei zu ignorieren, ein Gesicht machen als würden sie auf dem Pott sitzen – nun ja, in dieser Phase finde ich sprachkritische Diskurse eher schwierig. Ich befürchte nämlich, er hätte das böse Wort unbedingt ausprobieren wollen – nur um zu gucken, was passiert. Und die Vorstellung, er könnte zu den dunkelhäutigeren seiner Kindergartenfreunde laufen und „Ey, Du Neger“ sagen, gefällt mir nicht besonders.

„Pippi, geh von Bord“  wäre für mich aber auch keine Lösung gewesen. 1. weil ich eben sentimental bin und mich gut daran erinnere, wie sehr ich Pippi als Kind geliebt habe (auch wenn ich beim Wiederlesen zugegeben etwas enttäuscht war) und 2. weil Szenen wie neulich im Supermarkt als das KamikazeKid unvermittelt eine alte Dame ansprach mit den Worten „Weißt Du, die Pippi Langstrumpf ist so stark, die kann ein Pferd hochheben“ und die alte Dame sofort zurückstrahlte und sagte: „Pippi? Oh, die kenne ich auch. Die hat doch auch so ein Äffchen, nicht?“ und dann unterhielten sich die zwei angeregt bestimmt zehn Minuten lang – also solche Szenen gäbe es halt nicht, wenn das Kind stattdessen vom blöden Leo Lausemaus geredet hätte (über den der kluge – und überhaupt immer sehr lesenswerte – Herr Buddenbohm schon alles gesagt hat). Oder um es mal mit dem ganzen Pathos einer chronischen Büchernarrin zu formulieren: Weil ich es eben wichtig finde, dass Kinder Zugang zu einem gemeinsamen Geschichtenschatz bekommen, einen der Generationen übergreift und dass sie kapieren, dass Bücher nicht nur schön zu lesen, sondern auch schön zu diskutieren sind.

Andersherum begreife ich auch die Bedenken gegen allzu eifrige Eingriffe, vor allem wenn sie bloß dazu dienen, einen Text dem aktuellen Sprachgebrauch anzupassen und dabei alles irgendwie schräge, altmodische, widerständige wegwischen. Oder einfacher gesagt: Das „Schuhe wichsen“ in Preußlers Kleiner Hexe hätte ich stehen lassen. Wird wohl auch schwierig dem Kind zu erklären, warum das Wort heute so kicher, kicher anders belegt ist, aber sei es drum.

Man sollte die Kinder wohl auch nicht unterfordern. Wir haben zum Beispiel dieses Buch „So ein Struwwelpeter“ geschenkt bekommen. Das wird heutzutage als pädagogisch wertvollere Variante des alten Schwarze-Pädagogik-Struwwelpeters vermarktet, stammt ursprünglich aber aus der DDR. Das KamikazeKid und ich fanden die Zeichnungen sehr lustig, aber bei den Texten dachte ich erstmal „Uih“. Die klingen nämlich ganz schön altmodisch, sind gereimt und ein bisschen sperrig und enthielten Wörter, die ich auch nicht kannte. Aber siehe da: Das Kind liebte genau das, den eigentümlichen Rhythmus, die komischen Wörter. Es ist ein bisschen wie mit diesen Wählscheiben-Dingern, die immer noch in älteren Kinderbüchern abgebildet sind: Als Erwachsener wundert man sich, dass die Kleinen tatsächlich in der Lage sind, die als Telefone zu identifizieren, obwohl sie so etwas im wirklichen Leben noch nie gesehen haben.

Leider erfordert ja die aktuelle Debattenkultur sowohl in der Blogosphäre als auch in den so genannten Mainstream-Medien, dass man sich entweder dafür oder dagegen positioniert und Anhänger der Gegenposition entweder als Sprachpolizisten oder Rassisten beschimpft. Schade.

Ich hätte wirklich gern ein paar Beiträge von Leuten gelesen, die sich ganz ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen, wann Kindern was zugemutet werden kann und welche editorischen Eingriffe man für richtig und sinnvoll erachtet und welche nicht. So wie man das bei Erwachsenen-Literatur auch tut, wenn Neu-Editionen oder Übersetzungen auf den Markt kommen. Aber das würde natürlich bedeuten, dass man ernsthaft über Literatur diskutiert und nicht über die schrägen Weltbilder der Diskutanten.